Beschreibung

Hallo,

mein Name ist Isabel Unger. Ich bin 19 Jahre alt und habe mich entschieden ab August 2012 für ein Jahr in Ghana zu leben. Mein Wohnort wird die große Stadt Kumasi sein, in der mich eine Gastfamilie aufnehmen wird. Vor Ort werde ich im Rahmen des EMC-Ghana Projektes an der Garden City Special School, einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, arbeiten.

Auf diesem Blog werde ich Berichte vom Leben und der Arbeit in Ghana, sowie Fotos hochladen.

Viel Spaß beim Lesen, eure Isa

Mittwoch, 31. Oktober 2012

30.10.12: Garden City Special School


Entschuldigung, dass jetzt erst ein Blog über die Schule erscheint. In den ersten zwei Monaten wollte ich ungern etwas über die Schule veröffentlichen, da ich erst einmal Eindrücke sammeln und festigen wollte, bevor ich etwas behaupte oder etwas erzähle, was lediglich eine Ausnahme darstellt. 

Die Struktur:
Die Garden City Special School für geistig behinderte Kinder existiert seit 1977 auf dem Grundstück in Mampong, Kumasi. Auf dem Schulgelände gibt es verschiedene Trakte: zwei Gebäude sind für den Primary Sektor, eines für den Vocational Sektor. Es gibt ein großes Gebäude, was eine kleine Turnhalle, das Lehrerzimmer und zwei weitere Räume des Vocational Sektors beinhaltet. Außerdem gibt es ein Gebäude für die administrativen Arbeiten, ein kleine Klinik, die Küche, zwei Schlafhäuser und ein rundes Gebäude, was als Essensraum und Aula dient.
Zu dieser Schule gehen 186 Schüler, 132 Jungen und 54 Mädchen. Die meisten Schüler sind Internatsschüler, es gibt aber auch 27 Kinder, die täglich nach Hause gehen.

Das Alter der Schüler ist weit gefächert, es liegt zwischen 6 und 30 Jahren. Das liegt daran, wie die Schullaufbahn strukturiert ist. Die Kinder durchlaufen zunächst vier Klassen des Primary Sektors. Nicht jedes Kind startet die Schule mit sechs Jahren, es gibt sogar manche, die erst mit 13 Jahren eingeschult werden. Diese Kinder starten allerdings trotzdem in der ersten Klasse. Außerdem wird nicht jedes Kind automatisch jedes Jahr eine Klasse höher gestuft. Ich unterrichte die vierte Klasse, die genau in dieser Konstellation letztes Jahr bereits bestand. Die Lehrer entscheiden also, wann ein Kind eine höhere Klasse besuchen darf.
Wenn sie die vier Klassen im Primary Sektor abgeschlossen haben, kommen die Kinder oder Jugendlichen in den Vocational Sektor. Hier lernen sie in sechs Jahren verschiedenste Arbeiten: Bartigen, Schreinern, Weben, Perlenketten produzieren, Schustern und Kochen. Nach diesen sechs Jahren absolvieren die mittlerweile Erwachsenen ein praktisches Jahr in einem vorher erlernten Beruf und kommen nach diesem Jahr noch einmal für einige Zeit an die Schule zurück. So ist die Theorie, aber leider haben nicht alle Eltern auch jedes Jahr das Geld ihr Kind zur Schule zu schicken. Sie bezahlen zwar keine Schulsteuer, aber dafür müssen die Internatsschüler einige Dinge mitbringen, z.B. die Uniformen, eine Matratze oder eine bestimmte Menge an Seife. Und somit gibt es einige Schüler, die nur wenige Jahre die Schule besuchen oder immer mal wieder ein Halbjahr fehlen.
In den ersten Wochen nach den Sommerferien, war nur ein winziger Bruchteil der Kinder schon anwesend. Auch heute noch sieht man immer wieder neue Gesichter, Kinder deren Eltern erst jetzt genug Geld auftreiben konnten, um es zurück zur Schule zu schicken.

Der Ablauf der Woche ist immer gleich: Jeden morgen versammeln sich die Kinder in ihren Klassen aufgereiht vor den Gebäuden, beten, singen und marschieren zu Trommelklängen in die Räume. Montags haben wir zunächst eine Sitzung mit allen Angestellten, in der wir erst beten und jemand über einen Auszug der Bibel referiert, um dann die neusten Anliegen zu besprechen. Danach geht es in den Unterricht. Die Stundenverteilung montags, dienstags und donnerstags sieht folgendermaßen aus: 8.30-10.10 Uhr, Pause, 10.40-11.40 Uhr, Pause (in der es Orangenhälften zu essen gibt), 12.00-13.00 Uhr, Mittagessen bis 13.30 Uhr. Um diese Zeit ist mein Arbeitstag zu ende und die Kinder gehen einen Mittagsschlaf machen.
Mittwochs ist Sporttag, d.h. nach der allmorgendlichen Versammlung marschieren die Jungen auf das Fußballfeld und die Mädchen spielen Ball oder machen Gymnastik. Nicht den ganzen Tag wird Sport getrieben, nur im ersten Block. Soweit zumindest die Theorie, wir haben in den zwei Monaten, die wir nun Arbeiten, zwei mal Sport gemacht. Sonst wird Laub gesammelt oder die Kinder dürfen in der Aula fernsehen. Im zweiten und dritten Block, sitzen die Kinder eh vorm Fernseher.
Freitags geht der Schultag nur bis 12.30 Uhr. Im ersten Block wird in der Aula gebetet, gesungen, getrommelt und getanzt. Den restlichen Tag wird Fernsehen geschaut.

Uniformen:
Hier in Ghana tragen die Kinder Schuluniformen. An unserer Schule tragen sie braune Hosen / Röcke und gelbe Blusen / Hemden. Außerdem gibt es eine Sportuniform in grün für Jungen und in rot für Mädchen. Freitags tragen die Schüler ghanaische Kleider oder Hemden. Die Internatsschüler haben außerdem ein kartiertes Outfit für die Nachmittage, was sie direkt nach dem Mittagessen anziehen.

Meine Aufgaben:
Ich unterrichte in der vierten Klasse, in der die Kinder schätzungsweise zwischen 15 und 20 Jahre alt sind. Die Klasse besteht aus sechs Kindern, vier Mädchen und zwei Jungen, einem Klassenlehrer Mr. Gyan und einer Klassenassistentin Gifty. Die Fächer, die es hier gibt sind Sprachentwicklung, Mathe und „ selbstständiges Leben“. Meist unterrichtet Gifty die Klasse anhand von Mr. Gyans Notizen zum Unterrichtsablauf, denn er ist ein viel beschäftigter Mann und muss andauernd zu Gesprächen oder irgendwelche Formulare ausfüllen. Jeder Lehrer muss diese Notizen anfertigen und wöchentlich der Schulleitung einreichen, die sie absegnet. Ich unterstütze Gifty, indem ich Kindern, die nicht mitkommen, unter die Arme greife. Meist wird nur im ersten Block unterrichtet, danach werden die Kinder vielmehr beschäftigt, sie sollen entweder Zahlen oder das ABC auf ihre kleinen Tafeln schreiben. Deshalb übernehme ich im zweiten Block oft den Unterricht und versuche an die vorherige Stunde anzuknüpfen, entweder spontan oder ich mache Gifty Vorschläge zu Materialien (Arbeitsblätter oder Lernkarten), was ich dann in der Pause vorbereite. Im dritten Block, werden die Kinder wieder beschäftigt, indem sie auf ihren Tafeln schreiben, puzzeln oder Perlen auffädeln. In diesem Block bin ich nicht in der Klasse, ich gehe jeden Tag mit Gifty, einer Schülerin, in die Turnhalle um Physiotherapie mit ihr zu machen. Mr. Otu hat mich darin angelernt. Gifty hat eine Spastik, weshalb sie ihre Hände schlecht öffnen kann, sie ist sehr oft verkrampft. Während des letzten Jahres konnten allerdings schon deutliche Erfolge durch die Therapie der rechten Hand erzielt. Sie kann nun alleine essen, also eine Gabel halten, und Stifte oder Kreide halten. Sie hält Gegenstände allerdings anders, als man sie sonst hält. Dieses Jahr konzentrieren wir uns, neben der Therapie der rechten, vor allem auf die linke Hand. Wie genau die Physiotherapie abläuft werde ich in einem anderen Blog beschreiben.
Neben dem Öffnen der Hand, arbeite ich mit Gifty auch an ihrer Sprache. Tina, sie ist Logopädin, hat mir gezeigt, wie eine Sprachtherapie für Gifty aussehen würde und ich versuche nun jeden Tag mit ihr ihre Übungen zu machen, damit ihre Sprache deutlicher wird. Sie hat nämlich einen sehr großen Wortschatz, auch auf Englisch, man hat nur Schwierigkeiten sie zu verstehen. Gifty ist unglaublich motiviert und es macht wirklich super viel Spaß mit ihr zu arbeiten!
Auch mit Yaw, einem Schüler meiner Klasse, mache ich jeden Tag Sprachübungen, die Tina uns gezeigt hat, damit er einzelne Laute lernt auszusprechen. Gerade beim Alphabet hat er Schwierigkeiten, da alle Buchstaben, die er sagt, sehr ähnlich klingen.
Mit Atta arbeite ich mit bestimmten Arbeitsblättern, die ich für sie male, daran, dass sie nicht mehr spiegelverkehrt schreibt.
Mit Nana versuche ich seinen Wortschatz im Englischen zu erweitern. Er schreibt sehr gerne ab und mit Hilfe von Bildkarten, auf denen auch die Wörter stehen, lernt er neue Worte kennen und lernt auch noch schreiben. Einige Worte kann er mittlerweile schreiben ohne die Karte zu sehen.

Mittwochs und freitags sitzen Tina und ich nicht mit in der Aula und schauen fernsehen, sondern wir sind in der Turnhalle und holen Kinder zur Einzelförderung. Während Tina in ihrer Sprachtherapieecke mit Schülern arbeitet, mache ich mit Gifty und Yaw die täglichen Übungen in Physio- und Sprachtherapie, oder mache mit Nana seine Schreibübungen. Außerdem bieten diese beiden Tage Zeit um auch mit Kindern, die nicht in meiner Klasse sind zu arbeiten, z.B. mit Ivette. Sie sehe ich zweimal die Woche, um ihre Beine zu massieren, so wie Mr. Otu es mir gezeigt hat, und mit ihr zu laufen. Als sie zur Schule kam konnte sie gar nicht gehen, aber mittlerweile kann sie sehr wackelig kurze Strecken alleine gehen. Für längere Strecken versuchen wir sie gerade an einen Rollator zu gewöhnen, doch es ist noch sehr schwierig für sie die Bremsen zu bedienen. Die Arbeit mit Ivette ist recht anstrengend und mühsam, denn sie ist sehr faul, hat oft weder Lust zu sprechen noch zu laufen und es erfordert viel Überredungskunst und Geduld, sie dazu zu bewegen mitzuarbeiten.
Des Weiteren versuche ich einmal die Woche mittwochs oder freitags mit Felicia, Isaac und Wakome in die Turnhalle zu gehen. Felicia hat großen Spaß an dem Cross Trainer, der in der Turnhalle steht und da sie auch nicht so gut laufen kann und jede Bewegung ihr gut tut, lasse ich sie ein bisschen Sport treiben. Genauso wie Wakome, der ziemlich übergewichtig und sehr lauffaul ist, die Sportgeräte aber toll findet. Mit Isaac versuche ich seinen englischen Wortschatz zu erweitern, bzw. einen Wortschatz der für ihn wichtigsten Vokabeln aufzubauen. Außerdem bringe ich ihm bei seinen Namen zu schreiben, denn den würde er gerne öfter irgendwohin schreiben, schafft es aber nicht richtig. Das sind im Grunde meine Aufgaben hier während des Jahres.

Die Erziehung mit dem Stock:
Sehr fortschrittlich an dieser Schule ist, dass den Lehrern von Anfang an gesagt wird, dass so wenig wie möglich geschlagen werden soll. Jeder Lehrer hat zwar einen Stock, aber der soll hauptsächlich nur zum drohen eingesetzt werden. Damit die Kinder allerdings Angst vor dem Stock und den Drohungen haben, müssen sie erst einmal an die Schmerzen, die der Stock verursacht, gewöhnt werden. Deshalb wird in den unteren Klassen recht viel geschlagen, besonders die Schüler die neu sind, bekommen sehr oft den Stock zu spüren, denn sie wissen ja noch nicht was erlaubt ist und was nicht. Das klingt manchmal sehr übel, wenn man den Knall und das Geschrei hört. In den höheren Klassen, wird damit meist nur gedroht, wenn jemand Mist macht, manchmal wird dann auch zugehauen. Was sehr fortschrittlich ist, ist dass der Stock nie als Bestrafung eingesetzt wird, wenn ein Schüler einen Fehler im Unterricht macht. Es kommt vor, dass die Kinder ausgelacht werden, wenn sie einen Fehler machen, aber sie werden nie geschlagen.
Ich bin in diesem Punkt sehr froh an der Schule in Kumasi zu arbeiten, denn was wir so für Geschichten aus Winneba hören….schrecklich.
Generell wird hier etwas anders mit Demütigung umgegangen als in Deutschland. Ich werde eine Situation schildern, die vor zwei Wochen passiert ist. Tina und ich kamen aus dem Essensraum und sahen einen Kreis von Hausmüttern, Köchinnen und auch Lehrern. In der Mitte stand Wakome, der sehr übergewichtige Schüler. Eine Köchin hat auf ihn eingeredet und an seinen Brustansätzen gewackelt und gezogen und schrecklich gelacht. Alle anderen Erwachsenen, die in dem Kreis standen fanden diese Szene auch unglaublich komisch. Tina und ich waren total schockiert. Wakome hat sich sichtlich unwohl gefühlt in der Situation, was man an seiner Körpersprache und Mimik erkennen konnte. Da er nicht spricht konnte er sich weder  mit Worten verteidigen, noch konnte er aus dem Kreis fliehen. Tina und mir muss unsere Empörung vom Gesicht abzulesen gewesen sein, denn sobald der eine Lehrer unsere Gesichter gesehen hat, hörte er auf zu lachen und befreite den armen Jungen aus der Situation, indem er ihn mitnahm. Wir haben uns anschließend mit Wakome hingesetzt, haben versucht ihn etwas aufzumuntern und haben die anderen Kinder verscheucht, die weiter an ihm herumzerren wollten, denn sie hatten ja eben gesehen, wie lustig das ist ihn so zu demütigen. Eine schreckliche Situation war das und ich hoffe so etwas kommt so schnell nicht wieder vor. Die Schüler werden hier öfter ausgelacht, geschubst oder als Handlanger für die kleinsten Arbeiten, wie den Müll des Lehrers in den Eimer zu schmeißen, benutzt, aber in diesem Ausmaße hoffe ich die Demütigung eines Schülers nicht wieder zu erleben.

Der Fernseher:
Wie bereits gesagt, wird mittwochs und freitags ferngesehen. Die Sendung bestimmt eine Clique von Lehrerinnen, die zur eigenen Unterhaltung DVDs mitbringen. Diese Filme oder Serien sind meist sehr brutal und voll von Sexszenen, die verdammt detailliert sind. Die Kinder jubeln, wenn jemand erschossen oder erstochen wird und kreischen, wenn die Darsteller sich ausziehen. Tina und ich haben beschlossen, Kinderserien und Disneyfilme anzuschaffen, damit die Schüler mal etwas Kindgerechtes gucken.

Wie es um die Schule steht:
Vor ein paar Wochen war nicht genau klar, ob die Schule weiterhin geöffnet bleibt oder vorübergehend geschlossen wird. Es fehlte an Geld von der Regierung. Zu Beginn des Schuljahres hat die Schule einen bestimmten Betrag bekommen, den sie für die tägliche Nahrung der Internatsschüler zur Verfügung hatte. Das Essen beschränkte sich also auf günstige Nahrungsmittel, es gab jeden Tag dasselbe Gericht und nie Fleisch oder Fisch.
Da dieser Betrag langsam dem Ende zuging, aber die Regierung kein neues Geld zur Verfügung stellen wollte oder konnte, fuhr die Schulleitung zu unzähligen Meetings, um die Regierung, einzelne Parteien und potentielle Spender zu überzeugen, dass das Geld dringend benötigt wird. Sie hatten Erfolg! Ein Glück, denn wären sie erfolglos zurückgekehrt, wäre die Schule in der folgenden Woche geschlossen worden. Und obwohl nun zumindest erst einmal genug Geld da ist, um die Schüler zu ernähren, steht es nicht so gut um die Schule. Einige der neuen Lehrer und die Klassenassistenten haben seit 2 ½ Jahren kein Gehalt mehr bekommen. Sie arbeiten trotzdem weiter, denn wenn sie kündigen würden, bekämen sie den noch ausstehenden Gehalt nicht bezahlt. Zumindest habe ich das so verstanden.


Von nun an werden öfter Berichte von der Arbeit mit einzelnen Schülern folgen. Und ich hoffe bald ein paar Fotos aus der Schule hoch laden zu können. Ich möchte nur vorher die Schulleitung fragen und die Fotos absegnen lassen.